Ein Maulkorb aus Stahl donnert mir ins Gesicht. Dann knallt er in mein Knie.
„Warum läufst du so komisch?“ fragt mich abends meine Tochter Lise. „Ich musste Mila und Fenja auseinanderziehen, die habe ich heute zusammengelassen. Dabei habe ich mich verletzt.“ „Die sich auch?“ „Nein, die nicht.“ „Und warum machst du das dann?“ „Damit sie es langsam lernen dürfen.“ „Aber anscheinend lernen die ja nichts.“ „Doch, war schon besser heute.“ „Naja, für dich nicht.“
Ich will gerade pädagogisch ausholen, da unterbricht sie mich: „Und du lernst auch nichts, anscheinend. Du bist echt schon ein bisschen anders, ein wenig seltsam.“ Sie lacht und geht. „Ich hab dich lieb“, höre ich noch, bevor sie die Tür zu ihrem Zimmer schließt.
Voller Schlamm, mit zerrissener Hose und einer einsamen Meinung stehe ich im Flur. Ich fühle mich erwischt. Sie ist sechs Jahre alt.
Ich gehe ins Bad, schaue in den Spiegel, den sie mir sinnbildlich vorhielt, und beginne, meine Wunden zu lecken.
Mila und Fenja gehören zur Trümmertruppe. Unsere fast Unvermittelbaren. Schattenhunde, die hoffnungslosen Fälle. Wir gehen mit ihnen spazieren, machen Aktionen, arbeiten mit ihnen – und auch an uns selbst.
Ein Zuhause für einen Trümmi? Ein Sechser im Lotto: wunderschön, aber genauso unwahrscheinlich. Und du, alte Lady, weißt am besten, wie ich ticke. Ich sehe Dinge rational. Ich weiß, dass wir nur den Tierschutz leisten können, den wir irgendwie auch bezahlen können. Und die Wahrscheinlichkeit, dass irgendetwas nach Plan läuft ist verschwindend gering.
Doch bei den Trümmis springt das Herz über den Kopf.
Ich kann dir nicht sagen, was mich daran fasziniert. Warum ich mich weiterbilde, warum ich meine Freizeit opfere, obwohl es nie den großen Durchbruch gibt. Zu kleine Erfolge, die die Mühe kaum rechtfertigen. Liebe? Rational betrachtet ist es nicht die Zeit wert, nicht das Geld. Es ist eine hoffnungslose Liebe.
Und doch – ich kann nicht aufhören. Vielleicht sehe ich in jedem Trümmerhund auch ein Stück von mir. Mit 16, voller Überzeugung in die falsche Richtung rennend, gegen Wände aus Beton. Alles in Schwarz und Weiß einteilend, ohne die Chance dazwischen zu sehen.
„Lise, vielleicht hattest du recht…“ beginne ich an diesem Abend.