…Einen kurzen Moment kann ich nichts einordnen. Eine Katze: Blut, Tränen, Eiter… Ein Auge, das so aussieht, als würde es gleich platzen. Und dann ist da sofort dieses andere Gefühl. Neben dem Anblick des Elends, an das man sich nie gewöhnen kann, spürt man, wenn du, alte Lady, so richtig aus dem Takt gerätst.
Verena stammelt: „Das sind so viele, in Kartons, zugeklebt, grausam! Ich schaff das nicht allein!“
Dazu muss man sie kennen. Sie ist unser Freubär, die beste Katzenmutter der Welt, hat ein Elefantengedächtnis und wehrt sich gegen alles! Ihr Lieblingssatz? Oder besser: Mein Lieblingssatz von ihr? „Klar, wir schaffen das schon irgendwie.“
Ich breche die E-Mail ab, bei der ich versuchte, sachlich zu bleiben, um einer Amtsträgerin aus einer Umlandgemeinde klarzumachen, dass das alles hier Geld kostet. Sie betont gerne: „Wir müssen doch alle zusammenhalten im Tierschutz!“ Außer bei den Kosten, anscheinend. Kompetente Erpressung… Problem vertagen – Verena folgen.
Vor uns: Kartons. Zugeklebt. Mitten im Sommer. Ausgesetzt am See. Wir ziehen ein Häufchen Elend nach dem anderen heraus. Hechelnd, absolut dehydriert, verschmiert mit Kot und Urin. Panik und Gestank. Es ging um Minuten, das ist uns allen klar.
Man funktioniert in solchen Momenten. Schafft Platz, wo keiner mehr ist. Findet Kraft, wo keine mehr war. Dieses Team wird dann zu einer Gang. Ein „You never walk alone“-Ding. Einer übernimmt alle Aufgaben drumherum. Das Telefon und die Tür hören ja nicht einfach auf zu klingeln – 300 Tiere haben Bedürfnisse. Ein anderer bereitet die Räume vor. Der nächste fährt das Auto für die Tierarztfahrt vor.
Als wir fertig sind, schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen. Ich allein in diesem Raum. Stille. Ein leises Piepen schleicht sich in mein Ohr, vor meinen Augen fängt es an zu flimmern und sich zu drehen.
Vor mir: die Kartons, der Dreck, die Tupfer, das Blut. Das Schlachtfeld des Tierschutzes.
Die alte Lady steht schon lange kurz vor dem Kollaps. Es ist zu viel. Es ist zu teuer. Und nun ist es soweit. „Wenn jetzt noch ein größerer Fall kommt, dann war es das.“ – Ist jetzt. Ist heute. Ich habe keine Optionen mehr. Hallo, Tag X.