Wie traurig schön kann sich etwas anfühlen?
Auf Klappstühlen sitzen wir im Garten. Eine laue Sommernacht. Ich ziehe an einer Zigarette, obwohl ich aufgehört habe zu rauchen. Diese Zigarette wird die letzte mit dir sein. Unzählige davon musstest du mit mir rauchen gehen, nachts im Heim, als ich die Tierheim Magazine bis morgens gestaltete. Wir sagten den anderen aus dem Team „Tschüß“ und „Guten Morgen“. Verrückt.
Auf dem Weg nach Hause denke ich noch einmal nach. Mit Tränen und fast schon einem Lächeln dabei. Denn du, mein großer Bär, hast mein gesamtes Leben und ein ganzes Tierheim verändert.
Vor über 10 Jahren kamst du zu uns. Und lass uns ehrlich sein: Am Anfang war es die Hölle. Du hast mich gehasst. Und leider hattest du echt viele Baustellen. So viele, dass du nach vielen Ideen, Begutachtungen und auch Analysen als unvermittelbar galtst.
Morgen früh besuche ich dich ein letztes Mal bei deiner Christin zuhause, doch dazu gleich mehr…
Damals stand das Thema Euthanasie im Raum. Ich war noch jung und sehr unerfahren und sollte nun diese Entscheidung treffen… Ich weiß noch, dass ich mit Benny und Christoph in einer Kneipe saß und wild mit Bierdeckeln versuchte, ein Rudelgehege für unser Tierheim darzustellen. Denn es gab damals nur die Einzelhaltung bei uns. Am nächsten Morgen hatte ich zwar tierische Kopfschmerzen, aber einen Plan, den es umzusetzen galt, damit wir dir, auch wenn du damals nicht vermittelbar warst, ein artgerechtes Zuhause ermöglichen konnten – hier in deinem Tierheim.
Wir verkauften symbolische Quadratmeter für das Gehege, baggerten, schleppten Gehwegplatten, erlitten Bandscheibenvorfälle, bauten Hütten und Zäune und am Ende entstand dank dir „Dogsplace“.
Nur hattest du gar keinen Bock auf „Dogsplace“. Du mochtest inzwischen den Platz im Büro zwischen uns Tierpflegern viel lieber. Mit der Zeit wuchs zwischen uns eine Freundschaft. Du bemerktest, dass dieser Dominic eigentlich ganz cool war und ich sah ein, dass ich nachts um drei Uhr, wenn ich allein im Tierheim war, gerne einen großen Hund an meiner Seite hatte. So lernten wir uns lieben.
Und da du ein Hund bist, der radikal gesehen, für immer einen Zwingerplatz blockieren und einfach nur Kosten verursachen würde, hatte ich mir gedacht, dass wir aus dir einfach ein Maskottchen machen sollten. Im WhatsApp Newsticker berichtetest du von da an als Reporter aus dem Tierheim. Unser erstes großes Merchandisesortiment startete: Es gab Shirts mit dir drauf, Zollstöcke, Blöcke, Kalender und bis heute Tassen. Zusammen haben wir für „Bantus Powerpark!“, unseren großen Trainings- und Entschleunigungspark für Hunde Spenden gesammelt. „Bantu und die Shelterbros“ hieß unsere Fußballmannschaft, bei der wir bei Turnieren antraten usw.
Wir riefen die Tierretterpaten ins Leben, um dir und anderen Tieren, die einfach etwas mehr „kosten“, helfen zu können, ohne uns von anderen vorschreiben lassen zu müssen, wie lange ein Hund tragbar sei oder nicht.
Wegen dir entdeckte ich die Liebe zu den „anderen“ Hunden – meinen Trümmis. Wegen dir gibt es die Trümmitouren und gab es „Trümmis der Nation“. Wegen dir gab es seither kein Zurück mehr, und ich habe es damals immer schon auf Führungen gesagt: Solange Bantu hier ist, bin ich es auch.
Mit der Zeit wurde nicht nur ich, sondern auch Lisa, Benny und deine einzige Gassigeherin Iris dein festes Rudel. Du warst immer bei uns. Doch deine Muskeln fingen mit den Jahren hinten immer mehr an abzubauen. Du musstest dich mehr bewegen.
Mir fiel das kleine nette Mädchen vorne schon länger auf. Christin. Denn die kam sehr regelmäßig und oft. In einer Dienstbesprechung fragte ich nach ihr und ob wir die beiden nicht mal bekannt machen wollen – Bantu und Christin. Gesagt, getan gingen wir zusammen mit Bantu Probegassi. Was ab dann geschah, verstehe ich bis heute nicht. Nur, dass das eben so ist. Bantu verliebte sich umgehend in Christin. Und dies meine ich nicht kitschig oder überspitzt, sondern ganz echt. Er zeigte gegen Christin nie auch nur ein Fünkchen Aggression, auch in Situationen, von denen ich wusste, dass sie ihn normalerweise aus dem Konzept bringen würden, blieb er ruhig. Im Allgemeinen wurde Bantu in der Zeit mit Christin ruhiger und „altersmilder“. Von einem Moment zum anderen wurde ich egal. Mit uns im Büro, okay, aber eigentlich nur warten, bis Christin endlich kommt. Und sie kam. So ziemlich jeden Tag. Und Bantu wartete, so ziemlich jeden Tag.
Bantu durfte ab und an tagsüber mit zu Christin nach Hause, irgendwann sogar über Nacht. Christin war noch in einer Ausbildung. Bantu verliebt. Wir hatten Paten und so durften die beiden einfach sein. Christin und Bantu in einer Einzimmerwohnung. Das hätte mir vor zehn Jahren niemand erzählen müssen. Aber ich habe nie einen Hund so verändert gesehen – in Richtung Glück.
Die letzten Jahre waren viel. Alle unsere Hunde sind nach und nach gegangen, die Generation von uns, die damals hier im Tierheim auftauchte und alles veränderte, hatte nach und nach ihre ersten eigenen Hunde verloren. Und du? Du warst zäh. Du bliebst bei uns. Inzwischen ein Opa. Und weißt du was, Bantu? Wir haben dir den größten Shitstorm aller Zeiten zu verdanken! 😉
Als Geburtstagsüberraschung haben wir Christin und dich im Kreise des Tierheims und deiner Familie „vermählt“. Das fanden die Menschen da draußen gar nicht so lustig. Wir umso mehr. Dieses „einfach anders sein“, das war unser und dein Ding.
Christin hat dich durch eine wirklich harte gesundheitliche Zeit getragen, alles geopfert und alles für dich getan. Und bis zum Schluss warst du der glücklichste Hund der Welt.
Doch Montag sagte mir Nessi, ich solle zu dir und Christin in den Auslauf kommen.
Als ich dort ankam, lagst du schlapp mit deinem Kopf auf Christins Schoß. Traurig berichtete sie mir, dass es dir immer schlechter gehe. Ich fiel ihr ins Wort. „Sollen wir ihn einschlafen lassen?“ Ihr schmerzvolles „Ja…“ werde ich nie vergessen.
Ach Bantu, Christin hat dich so oft gerettet, als wir schon gezweifelt haben, Christin hätte dich immer überall hingetragen. Ohne zu zögern wäre sie ans Ende der Welt mit dir gegangen. Und du mit ihr. Ich weiß, dass du sehr müde warst, Christin hat es gespürt.
Ein paar letzte schöne Tage habt ihr euch gemacht.
Heute Morgen trafen wir uns bei Christin, Lisa kam und brachte einen riesengroßen Burger als Überraschung mit. Und eine kleine Kette für Christin. Zu eurer „Hochzeit“ hatten wir ihr eine billige Kette mit einem Plastik-B geschenkt. Diese hier ist aus Gold, denn Lisa und ich finden, dass das hier mehr als „für immer“ ist. Bantu schmatzte seinen Burger weg und dann ging alles irgendwie so schnell. Aber so friedlich. Du bist ganz ruhig eingeschlafen.
Jetzt fahre ich mit dir im Kofferraum in Richtung Tierheim, ich bin auf der Autobahn und fahre und fahre und kann mich nicht überwinden abzufahren, um es endgültig wahr werden zu lassen: Ein Tierheim ohne Bantu.
Als ich irgendwann auf dem Hof ankomme, öffne ich den Kofferraum und schiebe ganz vorsichtig noch einmal die Decke zur Seite. Du siehst so friedlich aus, Bär. Und ich lächle. Und ich bin so stolz auf uns beide, dass du das alles erleben durftest. Ich freue mich, dass ich eine Randfigur wurde und du am Ende deine Ruhe und deinen Frieden bei deiner Christin gefunden hast. Dank deiner Probleme können wir heute so vielen helfen. Dank dir weiß ich, was traurige Freude ist. Dank Christin weiß ich, dass es ein Happy End ist.
Mein großer Bär… grüß mir unsere Jungs da oben. Danke für alles mein Großer, du hast mein Leben verändert. Ganz ehrlich. Und Christin und Bantu, wie schön das am Ende einmal alles gut war.
Dominic