Das andere Resümee 2021.

… und trotzdem geht Ì?s halt irgendwann vorbei. 

 

Das andere Resümee 2021.

 

Ich bin nun seit 14 Jahren so unglaublich wach und unendlich müde zugleich… 

 

Ein Jahr und der vielleicht (eher gewiss) einprägsamste Lebensabschnitt in meinem Leben neigt sich dem Ende zu. 

 

Wen es interessiert, der findet hier jetzt Worte. Ziemlich viele wahrscheinlich. Vermutlich. Ziemlich sicher. Kann voll verstehen, dass das den ein oder anderen vielleicht gar nicht interessiert. Geht ja hier um Tiere, nicht um den ganzen Kram drumherum. Für die, die interessiert sind, kann das ja aber vielleicht so zum Abschied ganz nett sein.

 

Irgendwann im Sommer. Voll am Regnen. Auf den Weg ins Büro… 

Ich schlendere in Chaosgedanken gerade noch draußen über dieses wunderschöne Gelände unseres Tierheims aka „Alte Lady“. Aus Angst, jeden Gedanken sowieso gleich wieder zu verlieren, passiere ich schnell den Flur in Richtung Büro. Vielleicht hab ich einfach alle Gedanken die es gibt schon anprobiert, wieder ausgezogen oder zumindest kaputt gedacht und ausgetragen. Erst als ich das Büro erreiche, bemerke ich Mandy, die gerade den Flur frisch gewischt hat. Und bemerke erst jetzt meine Fußstapfen aus Dreck und verkopfter Egozentrik auf dem frisch gewischten Flur. Als Mandy völlig unbeeindruckt die Meter noch einmal nachwischt, komme ich mir so erbärmlich vor. Stolperhaft probiere ich mich mit Wortsalat zu entschuldigen und sie lächelt einfach so, wie eben nur Mandy lächelt und sagt: „Nee, mach mal da deinen Kram. Ist doch alles gut. Meinst du ja nicht böse… Hast wahrscheinlich den Kopf voll…“ . 

Boah, wenn das mal nicht Empathie und Unterstützung sind! Und wie kann man seine Worte so treu wählen? Und die meint das wirklich so! Und ich fühl mich dann dadurch noch viel dämlicher.

Ich wäre gerade richtig sauer an ihrer Stelle. Und ich merke, wie viel ich noch zu lernen habe. Und würde gerne mal wissen, wann das mit dem Lernen endlich mal aufhört.

 

Mandy ist übrigens auch die, die mal gesagt hat: „Dominic, finanzieller Erfolg ist ja egal. Viel wertvoller ist doch, wie weit wir hiermit schon gekommen sind. Überleg mal, wie das Tierheim mal aussah. Und was du daraus gemacht hast. Das ist wahrer Erfolg.“

Und ich überleg dann immer (und das dauert). Und sie hat total Recht. Und dass dieser komische Typ mit dem Lebenslauf, geschrieben mit den Händen eines Tanzbären, diesen einzigen ganzen Schrott so weit gebracht hat, das ist schon genial. Ich weiß gar nicht wie, aber es klappt ja. Und das kann man dann Erfolg nennen. Oder eben ein besseres Zuhause für 2000 Tiere im Jahr. Und jeden Tag wird es ein kleines bisschen besser. Ja, das ist toll. 

 

Sollte irgendjemand sagen, man soll aufhören wenn es am schönsten ist, dann hätte ich in den vergangenen 14 Jahren aufhören können. 

Denn schön fand ich das Arbeiten hier schon immer. Jeder Bewohner, dem wir ein Zuhause bieten und jeder Besucher, der uns unterstützt oder einem Bewohner ein Zuhause schenkt, jedem kranken Tier, dem wir helfen können – das sind schöne Momente und die liebe ich. Und noch was liebe ich: Ich habe absolut keine Ahnung, wie man solche Menschen wie Mandy und diesen ganzen Haufen meiner Truppe hier nicht abgöttisch lieben kann. Wie ruhig sie mich auffangen, selbstlos tolerieren und immer wieder unterstützen und da sind. Das will ich hier mal sagen. Und ich kann das gar nicht oft genug klarstellen. 

 

Überlegt mal:

Ich und die alte Lady stehen da so voll stolz und stoßen mit unseren Bieren in der Hand an. Dann kommen diese Menschen hier, jeder auf seine Art uns Weise und sagen: „Das macht ihr gut.“ Ihr Optimismus, ihre Liebe und ihre Energie könnt ihr euch gar nicht vorstellen! Wie sie sich um schutzlose und verlorene Tiere kümmern. Wie sie die alte Lady tragen. Und weil ich die manchmal alle so lieb hab, umarme ich dann auch Mandy einfach mal und will Danke sagen. Du, Mandy, und ihr, Crew, ich kann euch bis heute nicht fassen. Einfach Danke.

 

Zu unserem Alltag gehört auch, dass einem hier oft die Lebensenergie ausgesaugt wird. Und dabei meinte ich immer, das wäre bedingungslose Liebe zu dir, alte Lady… Bis dann meine Tochter auf die Welt kam und ich zweifelte, wie man jetzt das Tierheim leiten und gleichzeitig ein guter Papa sein soll. Dann verliert man einen seiner besten Freunde und Mitarbeiter. Tot. Weg. Nicht mehr da. Nur seine Spuren sind noch da auf jedem Zentimeter dieses Tierheims. Ey, das zerrt an mir, hört nicht auf weh zu tun. Und ja Christoph, du fehlst mir immer noch. Auch Jahre später glaube ich noch oft, du bist nur kurz weg und kommst gleich wieder.

 

Und dann, auch wenn es niemand mehr hören kann, kommt Corona, stellt alles auf den Kopf, nimmt die Sicherheit. Angst wächst – Und doch kämpfen meine Crew und ihr Menschen da draußen für die Tiere weiter!

Und dann denke ich: Danke.

Und dann diese gottverdammten verlorenen Kämpfe. Alte Lady, das ist so brutal. Das zerreißt mich jedes Mal wieder. Der Kampf um ein Lebewesen, das bis jetzt nur Pech im Leben hatte. Dem wir helfen wollen. Wenn wir kämpfen und glauben und dann verlieren. Ich kann mich heute noch bei jedem dieser verlorenen Kämpfe daran erinnern, welches Wetter war, wie es gerade roch und was ich fünf Minuten vorher gemacht habe. Weil es so intim gespeichert wird. Mich macht das fertig. Und genauso macht es mich fertig, wenn einer aus meinem Team um einen seiner Schützlinge kämpft und den Kampf verliert. Weil ich als Leiter nichts machen kann. Außer weiter machen.

 

So oft habe ich mir schon vorgenommen, auf jedes „letzte Mal“ in den Jahren zu hören. Nicht mehr weitermachen. Doch es ist ja immer irgendetwas zu tun. Die Geschichten der alten Lady erzählen. Und dann wird gesagt, du machst das gut mit der Öffentlichkeitsarbeit. Oder auch zu viel.

Nee, find ich gar nicht. Echt nicht. Also selbst ich bekomme nur einen kleine Teil der täglichen Geschichten hier mit. Und wenn wir mal ehrlich sind, dann kommt bei euch da draußen, wenn es hoch kommt, vielleicht 0,0001 % von diesen Geschichten an. Also eher wenig. Jetzt mal rein proportional. Ich würde es toll finden, wenn ich euch jede Geschichte erzählen könnte, wenn ich Worte fände, um euch Zentimeter für Zentimeter mitnehmen zu können. Ich versuche es.

Dieses Tierheim steht jetzt seit 15 Jahren. Ein stilles Jubiläum in einer chaotischen Zeit. Vor 15 Jahren stand ich hier und mein Leben stand in Flammen. Ich hab damals sehr erfolglos probiert, es mit Bier zu löschen. Die meisten Freunde in meinem Umfeld damals sangen von Liebe. Ich, ich sang die ganze Zeit von dir, alte Lady.

Jetzt singt vor allem meine Tochter den Titelsong von Peppa Wutz und fragt:

„Papa, wie kannst du so unglaublich streng sein und gleichzeitig darf ich alles, was ich will?“

Und ich sag dann: „Ja.“ Und denke, dass ich das wohl irgendwie bis jetzt ganz gut gemacht habe. Das mit dieser alten Lady und meiner Tochter. Denn dann sehe ich die Welt und seit Jahren spreche ich in den Resümees über eine verrückte Welt, die voll mit

 

Hass und Verzweiflung ist, muss dann mit verbunden Händen Corona und Lockdowns erleben, mit der Angst das alles hier zu verlieren. Dann kamen eure Spenden. Und diese kaputte Welt hatte so viel Nächstenliebe für dieses Tierheim über, wie noch nie zuvor. Nie habe ich eine bessere Welt erlebt. Während Fackelmärsche im Fernsehen laufen, darf ich Mails und Briefe jeden Tag in Massen öffnen. Nachrichten mit so vielen lieben Worten voller Zuversicht.

Und oft steht da einfach nur: Danke.

Und ich denke dann immer: Danke.

 

Und dann glaub ich, dass ich es geschafft habe. In meiner ganz eigenen Welt zu leben. Und wie schön ist das denn bitte. Dass ich hier sein darf. Ey, wegen Menschen wie euch, habe ich Menschen wie mein Team um mich. Das reicht. Das ist gut. Und das ist richtig. Selten war ich mir so sicher im Leben.

Dann sehe ich wie ein Teammitglied am Ende des Tages heulend in der Ecke zusammenbricht, weil der Schmerz des verlorenen Kampfes nicht zu ertragen ist. Und ich spüre Hilflosigkeit und weiß gleichzeitig, dass dieser Hund zwar kein festes Zuhause hatte, aber etwas, was vielen fehlt. Echte Liebe hat er erfahren. Und das ist gut. Und das ist richtig. Und ja, das ist hart. Für dich, Anne. Aber dafür sind unsere Schultern da. Das müssen wir tragen können. Schlimm wäre, wenn es einem nichts bedeuten würde.

 

Dann gibt es doch noch Bantu. Der alte Mann und mein bester Tierheimfreund-Hund wohnt nun über 10 Jahre bei uns. Und er hat es hier gut. Warum? Wir haben einfach das alte Tierheimauto noch durch den TÜV gejagt und dank eines netten Autohauses einen super Deal hinbekommen und dann unsere Ehrenamtliche Christin (Bantu liebt sie über alles und hat immer Herzen in den Augen, wenn er sie sieht) gefragt: „Magst du so ein paar Seminare mitmachen, weil dann kann Bantu tagsüber bei Dominic im Büro wohnen und nachts bei dir.“ Und sie hat einfach Ja gesagt.

Und ich dachte: Danke.

 

Durch Bantu und den Entschluss damals, ihn nicht einzuschläfern, wurde die Geschichte mit der alten Lady ja erst so unverhandelbar für mich. Bantu – Dogsplace – Powerpark – der Rest ist Geschichte. Ey, Bantu, das ist für mich der größte Erfolg. Kein Geld – das ist Liebe. Und du hast ein Zuhause. Bei uns und bei Christin. Du verdammt glücklicher Hund schaffst einen verdammt glücklichen Tierheimleiter. Danke. 

 

Wenn ich mit dir morgens hier die Runde laufe, dann lauf ich manchmal an dem Pavillon vorbei, den Christoph und ich damals zusammen für Dogsplace aufgebaut haben. Und dann denke ich an damals: „Ja, passt nicht, das zieht sich gleich zusammen, wenn wir das oder das Holz noch anbringen.“ Am Ende ist es ein Mahnmal der Selbstüberschätzung geworden und wir haben damals Tränen gelacht über unsere Dummheit und die Selbstverständlichkeit, trotzdem weiter zu bauen. Manchmal lach ich dann heute noch laut. Manchmal bin ich dann traurig. Ich weiß eins: Du warst viel zu kurz auf dieser Welt, Chrissi, aber wie schön, dass du von der kurzen Zeit fast ein Drittel bei uns warst. Uns geholfen hast, mit daran geglaubt hast, dass das Pavillon nun echt hässlich ist, aber das nächste eben besser wird. So haben wir Stück für Stück dieses Tierheim umgestaltet. Ich durfte dich kennen und lieben lernen. Und dann denk ich auch wieder: Danke.

 

Während des Lockdowns (den wir durch eure Spenden überstehen konnten, weil ihr uns immer noch so wahnsinnig liebt – Danke) haben unsere neuen Azubis (die allesamt Freaks mit einem wahnsinnigen Verantwortungsgefühl sind) und ich dann unsere Trümmertruppe ins Leben gerufen. Wenn ich Jaymee erlebe, wie selbstverständlich und zugleich wissbegierig sie die Verantwortung übernimmt, mit Sahra und Simon den absoluten Reißern, dann muss ich einfach mal sagen, dass es sehr gut um die Zukunft der verrückten Tierpfleger steht, die etwas bewegen wollen und können. Und so schön anders als wir es taten. Das erfrischt. Das macht Mut. Und dann denke ich: Danke.

 

In diesem Jahr, das in der ersten Hälfte nur schlief und ich wegen aller Einsparmaßnahmen wusste, dass nicht viel passiert, sitz ich auf einmal bei Oma (ehrenamtliche Superheldin) im Garten mit meiner Azubigruppe und unserer Trümmertruppe und philosophiere mit Oma über die letzte 14 Jahre, während vor uns ein Kamerateam sitzt und uns seit Tagen begleitet: Wir bekommen eine eigene Reportage. Und dann denke ich: Danke.

 

Ich war letztes Wochenende bei meiner Mama auf ihrem Geburtstag und die ganze Familie saß da so und dann fragten sie mich, ob ich mich denn im Fernsehen sehen kann oder ob es mir auch unangenehm ist, meine Stimme zu hören. Und ich hab dann gesagt: „Nee, find ich voll geil.“ Die haben dann natürlich alle die Augen gerollt und das als selbstverliebten Akt gesehen. Aber das meinte ich gar nicht. Ich sehe die Reportage und denke „Aaahh, du hast so krass zugenommen, deine schiefen Zähne, die Augenringe, die Poren im Gesicht!“ Ich find mich nun nicht so geil. Aber ich sehe den Freak von damals, dessen Leben in Flammen stand und höre ihm dann selber mal von Außen zu und denke: WIE GEIL! Wie schön, dass das in deinem Leben geklappt hat. Wie geil, dass du so redest wie du redest. So unperfekt. Aber genau deswegen habt du und dein Team das alles geschafft! Dass wir ein Kamerateam haben, das uns begleitet, weil sie die Geschichten mögen, die wir erzählen können. Das ist nicht selbstverliebt. Das ist tiefe Dankbarkeit dafür, dass wir das alles hier machen können. Deswegen mag ich mich da sehen. Selbstzweifel habe ich genug, aber das ist schon echt unglaublich schön. Und dann denke ich so: Danke.

 

Ich würde gerne noch 10 weitere Seiten Danke schreiben, weil ich das Gefühl hab, all die Worte reichen gar nicht aus – aber ich glaube jetzt einfach daran, dass ihr es versteht. Dass ihr wisst, wie dankbar ich bin. Dafür, dass ich hier bin mit der alten Lady – gerne weitere 15 Jahre. Ich liebe dich. Ich hab noch nie an etwas so geglaubt wie an uns. Weil ich es kann und darf dank jedem Einzelnen von euch, der dabei war, ist und verdammt nochmal bitte bleibt.

Und jetzt habt ihr bitte das schönste Weihnachten der Welt, bleibt gesund und klopft euch auf die Schulter, denn: Egal wo wir gerade so im Leben sind, wenn wir alle gemeinsam etwas gut gemacht haben, dann war es wohl, dieses Tierheim in Oldenburg aufzubauen. Egal in welcher Art und Weise. Egal wann in diesen 15 Jahren. Egal ob der erste Pavillon schief war. Das ist schon ein Wahnsinnsding hier.

Lasst uns die nächsten 15 Jahre vorbei gehen lassen. Ich freu mich auf euch, die alte Lady und viel zu viele Zeilen, weil ich einfach nur denke: Wie geil, dass heute mein größtes Problem ist, dass ich mir überlege, wie ich am besten Danke sagen kann.

 

Danke für über 15.000 gerettete Tiere in den letzten 15 Jahren.

 

Seid gut zueinander.

In Liebe 

Euer Dominic

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