Ach meine alte Lady Tierheim… Dass meine letzten Zeilen im Jahr für dich, mit dieser Überschrift mal beginnen, hätte ich so auch nie erwartet.
Es wird dringend Zeit, dass wir beide uns mal zusammen setzen und reden. Weißt du, irgendwann hat mich ein Therapeut mal gefragt, wer ist Dominic ohne das Tierheim oder der Papa… schweigen, Jacke zu, Jutebeutel nehmen, Türklinke drücken und den Raum verlassen. Jahre später warten wir noch immer auf eine Antwort.
Das ist gewiss nicht gesund. Und wenn ich probiere, dass wir beide mal in den Austausch gehen, habe ich so viele Gedanken in meinem Kopf, dass irgendwie nichts raus kommt. Ich nicht weiß wo ich anfangen oder aufhören soll. Ein Wespennest da oben im Kopf. Also probiere ich dir zu schreiben. Lösch die ersten Zeilen wieder und wieder. Weil irgendwie kein Satz gelingt. Weißt du alte Lady, ich hab nie dran gezweifelt, doch war mir auch nie sicher.
Vom verlorenen Antihelden, der durch einen Zufall und einen 1 € Job bei dir im Schoß landete, ermutigt durch eine Freundin (Sonka), alle Bekannten und Verwandten abklapperte um Paten zu suchen, um eine Ausbildung bei dir zu finanzieren, zum 16 Jahre später Typen, der graue Haare zählt. Wie die Zeit rast….
Wenn sich der ganze Quatsch hier gelohnt hat, sich die Sehnsucht irgendwann verdrückt, würde ich gerne raus hier. Ist es soweit?
Corona hängt mir noch sehr nach, es war die härteste und einsamste Zeit in den Tierheim Jahren, in der Hoffnung letzten Jahres, dass es wieder los gehen kann, wir wieder Feste feiern und die Leute dort draußen wieder sehen können, wir uns anlächeln können und nicht nur mit den Augen kommunizieren müssen, da habe ich sehr drauf gehofft. Mich drauf gefreut. Denn, wenn ich ehrlich sein darf ,alte Lady, wir beide sind nur das Produkt von so vielen Menschen, die das hier alles erschaffen. Und ich tanke sehr viel Kraft aus vielen kleinen Momenten mit den Menschen um uns herum. Doch dann der Krieg, die Energiekrise und alles wird einfach anders und schlimmer. Krankheitswellen über Krankheitswellen brechen über das Team ein. Jedes Projekt, das nicht unbedingt sein muss wird pausiert. Es ist nicht so, dass der Alltag und unsere doch zahlreichen und anspruchsvollen aber bezaubernden Bewohner, nicht schon genug Kraft und Energie fordern.
Es ist mir sehr wichtig, dass das Tierheim für die Spender offen ist, dass man Teil sein kann von dir, dass wir uns melden und danke sagen, dass wir etwas zurück geben. Doch seit nun mehr 3 Jahren, heißt es immer wieder bei neuen Heften oder Festplanungen: LOS! – STOP! – … schade… nächsten Monat.
Während die Inflation sich ausbreitet, wächst meine Angst ins unermessliche, die Angst das alles zu verlieren. Dass die Spenden zurück gehen, dass die Spender und Paten enttäuscht sind, weil wir uns so selten melden… Ja, dass diese Säule, die das alles hier ermöglicht, einstürzt. Der Tag hat zu wenig Stunden. Ich kam da einfach nicht mehr mit. Ich konnte nicht mehr von einer Zukunft träumen, da ich es nicht mal schaffte einzuschlafen. Und am nächsten Morgen, völlig übermüdet, versuchten wir weiter um dich zu kämpfen. Ein Hamsterrad. Ein sich zerreißen und sich in alle bröckelnden Ecken zu kleben.
Wird die einstige Freude hier zum Gefängnis?
Es war eine Jahreshauptversammlung des Tierschutzvereins im Juni oder so… Die Besucher erwarteten den optimistischen Dominic, der vorne auf der Bühne eine Präsentation zeigt, mit Zahlen um sich wirft und aufzeigt, wie wir das Tierheim weiter stabilisieren und erweitern und das alles gut wird. Mit leuchtenden Augen versucht alle mitzunehmen und ihnen klar zu machen, dass alles möglich ist um unseren Bewohnern, wieder ein Stück mehr Lebensqualität zu schenken.
Ich merke beim reden, wie düster die Prognosen sind. Wie ich anfange mich damit abzufinden. Ich merke wie verdutzt die Menschen im Saal mich anschauen, weil sie sehen, wie da, wo mal Leidenschaft war, der innere Glaube anfängt zu verwelken.
Also, meine alte Lady, ich brenne so gerne für dich. Wirklich. Aber so ein Feuer hat halt auch immer Hunger und frisst alles auf um zu wachsen. Bis es nichts mehr gibt, was noch brennen kann.
Und das alles ist faktisch auch keine Schwarz-Malerei. Die Karten lagen offen auf dem Tisch, die Kosten die explodieren, die Gesellschaft, die sich zerhackt.
Während ich dort redete und die düsteren Prognosen verkündete, wurde mir klar, dass ich genau jetzt aufhören muss.
Wenn nichts mehr kommen will, aus Furcht und Angst, dann haben sie gewonnen. Immer mehr Menschen auch in meinem Umfeld, werden zu zynischen Wracks und
zwischen einfach nichts tun und dem ganzen Geschrei um mich, habe ich mich anscheinend ergeben. Dann kann ich mich jetzt entscheiden, ob ich befindlichkeitsfixiert mit schreie und jammere, Schuldige suche, die Weltlage kommentiere und mich in unnützen Hass verliere. Ob ich mit solchen Reden hier Teil werde, ein Team demotiviere, Mitglieder verliere und aktiv dazu beitrage, dass du einschlafen wirst.
Es dauerte während ich dort redete ungefähr 2 Minuten. Meine Stimmung kippte und ich dachte mir, nee… Nicht mit mir. F*** Dich Angst. Zeigt mit den Finger auf andere und spielt so etwas wie Empathie im selbstgerechten Lebenswandel. Ich mach da nicht mit.
Ich kann die Welt nicht retten, aber ich kann dich alte Lady retten. Ich bin mir da wie immer nicht sicher, habe aber nicht daran gezweifelt. ;-)
Die Rede wendete sich und auch mein Leben und meine Haltung. Und ich kann heute immer noch nicht sagen, wer Dominic ohne das Tierheim ist, aber ich weiß wer Dominic auf keinen Fall sein wird. Und damit musst du eben Leben, liebes Tierheim. Haste mich die letzten 3 Jahren echt gut getestet. Und ja, ich nehme alle Formen an um dich zu retten und dich zu halten. Und da habe ich eine falsche Form angenommen, aber nicht mit mir!
Ich begann mit dem einzig Sinnvollen, das man machen kann, außer den Kopf in den Sand zu stecken. Wir haben die Kröten die wir hatten, investiert. Neue Gehege für Pensionen, Beginn des Ausbaus eines kleinen Sonntags-Café, neuen Merchandise, Ausbau des Onlineshops usw. …
Ein Risiko. Das mich andauert nachts aufwachen lässt. Ob das funktioniert? Was ist wenn ich es versemmelt? Werde ich nicht. Denn es geht um dich, alte Lady, die Liebe meines Lebens. Es geht um jedes Tier, das dort reinkommt und einen Hafen braucht. Um jedes Wesen, dass niemanden hat, außer uns. Es geht um diese Mannschaft dort, die die beste der Welt ist. Das meine ich echt so! Und das weißt du auch, Lady. Und das werde ich schon hinbekommen. Und ja, die Angst ist da, aber Sie ist gut. Sie holt alles aus mir raus. Sie raubt alle Kraft, aber man braucht eben alle Kraft um dich zu schützen. Um das Erschaffene hier, zu halten. Und vielleicht auch zu verbessern.
Dieses Jahr hatte alles im Gepäck, ein Bube (T-Low), der mein Herz berührte, eine Mila die auszog und freudestrahlend wieder einzog, ein Instagram-Hack der mich wirklich zweifeln ließ, ein riesiges Katzendrama, Hunde-Beschlagnahmungen und vieles, vieles mehr. Immer wenn ich gedacht habe, diese Woche noch, dann kann ich kurz mal durchatmen, wurde es schlimmer und anspruchsvoller. Ich war oft sehr fertig und müde. Aber ich war nie wieder sauer auf dich.
Ein halbes Jahr später sitz ich hier in meiner Küche, 31.12.2022. Der letzte Tag. Der Regen tobt, der Kaffee wärmt von innen. Ich war gerade noch im Tierheim und sah sie alle da so rum wuseln. Jeder dieser Mitarbeiter ist echt besonders. Und ich glaube, dass habe ich vielleicht etwas zu wenig mitgeteilt dieses Jahr. Weil es so viel war und ich sehr fokussiert war, aber das ist schon genial, was und wie ihr es macht. Jeder mit seiner Art und Weise. Alte Lady, da kannst dun wirklich dankbar für sein.
Eigentlich wollte ich mich zwischen den Tagen hinsetzen und dir schreiben, das hat nicht geklappt, weil wir so viel Stress hatten. Und weißt du was für einen? Einen tollen. Es war die Hölle bei uns los, die Menschen da draußen haben soviel Merchandise gekauft und gespendet. Ich habe noch nie eine solche Weihnachtszeit erlebt. Ich bin da so unendlich dankbar und glücklich drüber. Und es schon heftig, wie sehr einen Angst erdrückt und lähmen kann und wie schön, dass ich sie überwinden durfte und diese ganzen Tierheim Freunde uns zur Seite stehen. Bei den Weihnachtseinkäufen, sah ich soviel Menschen mit unseren Hoodies oder Jute-Taschen, ich wurde so oft angesprochen und bekam so liebe Worte von mir völlig fremden Menschen. Alte Lady, wer hätte das damals gedacht. Und ich überlege den Therapeuten mal wieder zu besuchen und ihm mitzuteilen: Viele sagen uns im Tierheim sie könnten diese Arbeit nicht und ich, ja, ich kann nicht ohne diese Arbeit. Hätte ich das Tierheim nicht gefunden, würde ich es immer noch verzweifelt suchen.
Ich stolperte zwischen den Tagen, aus der neuen und wunderschönen Hundequarantäne in den Eingangsflur. Wir hatten gerade den kleinen Welpen und Weltmeister im Schlingen das Futter gebracht. Da sagte mir jemand, dass vorne ein Mann eine größere Spende abgeben möchte.
Als ich dort so in den Flut stolperte und auf meine Schuhe sah, sagte ich laut: Wer hat mir denn auf die Schuhe gekotzt? (Es war Welpenkot…)
Ein Mann im Anzug steht vor mir und lacht laut los.
„Ihr seid so authentisch, man muss euch einfach lieb haben! Danke für eure Arbeit!“ und überreicht mir 1000€.
Die 1000€ sind für dich, liebe alte Lady, aber die Worte die ich und mein Team während der Weihnachtszeit immer wieder von Euch bekommen haben, die sind für etwas anderes. Für die Menschheit. Man kann sich nicht vorstellen, wie viel Wert das hat. Es war das mit Abstand härteste Tierheim Jahr, das unsicherste und auch mein persönlich schwierigstes im Tierheim. Und ich saß noch nie so beseelt am Resümee. So glücklich, so optimistisch, so dankbar und ja, auch so stolz. Stolz auf unser Tierheim, das alle Ehrenamtlichen dieses Jahr mit über Wasser gehalten haben, als die Krankheitswellen kamen und sowieso immer. Stolz auf dieses Team, Stolz auf unsere Tierheim Freunde dort draußen. An alle treuen und langjährigen Unterstützer und auch auf alle neuen.
Weil man so viel Kraft durch die Menschen dort draußen erfahren hat, hat man das geschafft.
Und ganz zum Schluss, habe ich nur eine einzige Bitte.
Wir sind alle oft gut darin, andere zu kritisieren. Und es gibt an uns allen etwas zu kritisieren. Auch was wir so mit der alten Lady hier machen. Geht alles besser, keine Frage. Aber unter den Umständen war das schon gut. Das habt ihr uns gespiegelt und dafür sind wir sehr dankbar. Und das gibt Kraft und ist irgendwie cooler, als nur immer zu hacken und zu nörgeln. Es ist ein Antrieb. Meine Bitte, solltest Du dir die Zeit bis hierher genommen habe, nimm dir noch eben 2 Minuten mehr. Und sag jemanden, was er toll gemacht hat. Egal wem. Es tut gut und gibt Kraft. Es hilft uns nicht die Welt zu retten, aber es schützt unsere Menschlichkeit und eine Person vielleicht davor verbittert zu werden. Dich in jedem Fall.
Danke für alles.
Dein Dominic
