Du vergisst die Dinge, wenn du sie niemandem erzählst…
Ein Resümee zwischen großen Momenten und einem leisen „Auf Wiedersehen“
Liebes Tierheim, meine alte Lady,
in diesem Jahr ist es so weit. Das erste Mal stehe ich da und weiß nicht mehr weiter. Das erste Mal habe ich keine Antworten auf Fragen. Wir haben uns so schnell gedreht, dass wir nun endlich einmal anhalten müssen, um auszusteigen. Einmal innehalten. Gleich ist Heilig Abend und ich muss dir gestehen, dass ich in diesem Jahr sehr häufig nicht daran geglaubt habe, dass wir ihn noch gemeinsam erleben können.
Dass das irgendwie funktioniert hat, liegt an etwas ganz Besonderem. Etwas, das ich vielleicht übersehen habe und dem ich hier und heute, kurz bevor ich mit meiner kleinen Tochter das Krippenspiel besuche, einen Raum geben möchte.
Alles begann so:
Wir haben im Jahr 2018 den großen Schritt gewagt: ein Anbau und die Umgestaltung des Haupthauses zu einem schönen, großen und modernen Tierkrankenhaus. Auf dem Papier sieht so etwas schön aus. In der Realität (jedes Baustellenkind kennt das) bedeutet es: über ein Jahr Schadensbegrenzung. Du verzweifelst an dem Staub den du wegwischst, weil sich im selben Moment eine neue Schicht ablegt. Es wird andauernd alles provisorisch von A nach B geräumt. Eine schwere Zeit für die richtige Zukunft. Man merkt, dass dieses Tierheim lebt, aber es bringt auch viele Dinge mit sich, welche schwer zu verdauen sind. In diesem Gefühl, ständig zugeparkt zu sein, waren die Rucksäcke voller Ideen gepackt, aber man musste die Hände in die Taschen stecken und einsehen, dass dieses Jahr einfach ruhiger werden würde.
Ich hatte häufig Angst, dass wir uns übernehmen. Dass ich es nicht schaffen werde, das Tierheim stabil zu halten. Ich fühlte mich schon mit meinem eigenen Kram überfordert und mit jedem Problem, das ich sonst so gerne optimistisch angehe und als Herausforderung sehe, fingen die Gedanken nachts mehr und mehr an zu kreisen. Das geht an die Substanz und ich musste einsehen, dass ich mich mehr fokussieren und andere Dinge zurückstellen muss. Diese Entscheidung barg die Gefahr, dass Spenden ausbleiben würden und mein Tierheimplan nicht mehr aufgehen würde.
Und dann kamen diese Momente. Boston, OP-Kostenvoranschlag weit über 1000€. Zu der Zeit einfach zu viel. Wir versuchten einen Spendenaufruf, um zumindest einen Teil zusammen zu bekommen. Nicht einmal 28 Stunden und wir hatten das Geld komplett zusammen.
Liebe Leser, ihr wisst nicht, was das mit uns gemacht hat. Diese Schlinge um den Hals verschwand und ich sagte zu Lisa: „Mach einen Termin beim Tierarzt, wir können die OP bezahlen.“ Ihre Antwort: „Quatsch, das ist nicht dein Ernst!“ Ich:„ Doch!“ Der Moment, in dem sie zum Hörer greift – ein unbezahlbares Gefühl! Boston konnte geholfen werden und ein Dominic ein wenig besser schlafen.
Dann die Absage des Sommerfestes, die eigentlich schlimmste Entscheidung für mich in 2018. Als wir ca. 10 Tage vor dem Fest einsehen mussten, dass wir es nicht schaffen, war es fast vorbei bei mir.
Ich wusste wirklich nicht, wie der Haushaltsplan ohne Sommerfest funktionieren sollte. Aber die Zeit fehlte einfach, ich kam gar nicht mehr voran, wir alle waren überlastet und die Baustelle machte es unmöglich.
Es kam die Idee von „Haste mal?“ … und ihr hattet! Ein Video, in 10 Minuten gedreht. Und die Geldeingänge überschlugen sich. Innerhalb von zwei Wochen kamen über 20.000€ zusammen und das Haushalts-Sommerfestloch war gestopft. Ich kann diese Momente nicht wirklich in Worte fassen, ich kann wirklich nur sagen, dass jeder einzelne von euch dazu beigetragen hat, dass wir noch immer hier sind und das vielleicht schon bald viel besser als jemals zuvor.
Wir haben es nicht geschafft, unsere Tierretterpaten einzuladen, also wollten wir ein neues Magazin herausbringen und es ihnen schicken. Die Arbeiten waren im vollen Gange und knapp 70% des Magazins hatten wir fertig, doch dann musste ich es abbrechen. Das Jahr hat uns einfach derart in die Knie gezwungen, dass ich merkte, ich muss aufpassen. Auf mich und vor allem auf dieses Team. Und so schwer mir das gefallen ist, war es die richtige Entscheidung. Wenn das mit unserem Lichterfest etwas werden und gleichzeitig der Bau voran gehen sollte, dann mussten wir halt weitere Abstriche machen.
Ende des Jahres, wir waren in der Vorbereitung zum Lichterfest, saßen Benny und ich gerade im Tierheimwagen, als Benny sein Handy rausholte, lange auf das Display starrte und mich dann ansah. Warum auch immer, musste er die folgenden Worte gar nicht laut aussprechen. Ich wusste sofort, was los war. Diese brutale Stille im Auto, es gibt nichts Lauteres als diese Stille.
Christoph war mit 29 Jahren gestorben. Christoph war nicht nur ein Mitglied der Tierheimfamilie – er war so viel mehr. Er war der kleine Held, mit dem wir aus Bierdeckeln in der Kneipe Projekte wie Dogsplace erschufen. Jedes Projekt auf diesem Gelände trägt seine Handschrift. Jedes Fest wurde so genial, weil er es bis zum Schluss mit durchgezogen hat. Er war der, mit dem ich morgens um 3 Uhr los fuhr, um alle Straßenschilder aufzustellen, mit dem ich mich abends spontan wieder im Tierheim traf, weil wir so manches Projekt doch noch schnell fertig stellen wollten. Er war ein Freund und ein echter Tierheimheld. Über 2000 Katzen hat er ein neues Zuhause geschenkt. Und jetzt ist er weg. Für immer. Kurz vor dem Lichterfest. In diesem Jahr, das mich sowieso schon an die Grenzen meiner Kräfte brachte. Lichterfest absagen? Ich wollte so langsam nicht mehr stark sein, ich wollte eigentlich nur noch schlafen und heulen. Wir beschlossen, es irgendwie durchzuziehen. Für Christoph. Das erste Mal ohne ihn. Puh.
Eine Woche vor dem Lichterfest.
Wir standen in einer Kapelle. Vor uns ein Sarg. Die Geschichte wurde real. Auf seinem Sarg lag sein Tierheimpullover. Die Mutter umarmte uns und sagte, dass wir seine Familie waren. Am Eingang gab es Teelichte. Diese sollte man vor seinem Sarg aufstellen. Die Eltern hatten Christoph ein eigenes kleines Lichterfest gezaubert. Ich wurde gebeten, ein paar Worte zu sprechen. Und ja, ich habe mich übernommen.
Es ist der schwerste Moment meines Lebens. Diese eh schon so dünne Tierheimmembran droht zu reißen. Dieses Tierheim hat die letzten 11 Jahre mein Lebens bestimmt. Ich liebe es. Es ist alles, woran ich glaube. Es ist die Mitte meines Lebens. Und ja, wir haben jemanden verloren. Einen von uns. Einen Freund, einen Helden, einen Teil von mir.
Ich stammele Worte vor mich hin. Es gibt diese Momente, auf die man sich nicht vorbereiten kann. Ich sah in diese vielen traurigen Gesichter und wusste nicht mehr, ob ich hier noch der Richtige war.
Am Ende gehen alle zum Sarg und verabschieden sich. Ich sitze mit Vanessa und Benny etwas weiter vorne als die anderen. Als wir an der Reihe sind, blicke ich kurz nach hinten zu den anderen vom Team. Ohne Absprache steht die gesamte Tierheimmannschaft auf und wir gehen gemeinsam nach vorne. Dieser Moment ist die Wende der Geschichte. Als meine kleine Tierheimgang dort um den Sarg steht, ist es so magisch und kraftvoll. Ich kann abgeben. Wir nehmen wir uns in dem Arm und schauen auf Christophs Foto. Und dann ist da eine Macht in uns, über uns, die ich nie werde beschreiben können. Es ist dieses Team, das Christoph für immer im Herzen haben wird. Mit der man immer alles erreicht. Hier in dieser Stille habe ich begriffen, welchen Fokus ich in 2018 verloren habe.
Liebe Tierheim-Crew, dieses Resümee geht an euch. Ich weiß, dass es schwer war in diesem Chaosjahr. In dem wirklich jeder für sich, mit aller Kraft versuchen musste, seine Arbeit unter schweren Bedingungen zu bewältigen und das Herz dabei nicht zu verlieren. Ich habe manchmal geglaubt, dass es zu spät ist. Aber als wir da standen, wurde es klar. Ihr seid alle hier geblieben. Ihr kämpft um euer Tierheim, ihr stärkt mir immer den Rücken und ihr haltet meine ganzen Ideen und Visionen aus. Und als wir dort standen, habt ihr meine Hand genommen und mir den Weg gezeigt – den Glauben nicht zu verlieren. Ihr seid wirklich das Beste, was diesem Tierheim passieren konnte.
Inzwischen ist es so, dass Menschen zu uns kommen um Pullover zu kaufen, auf denen „Tierheim“ steht. Klingt im ersten Moment komisch, finde ich zumindest. Im zweiten Moment ist aber so, dass viele Menschen eben viel mehr sehen, als ein normales Tierheim. Dass sie es mögen – „ihr Tierheim“ und sich damit identifizieren. Die Spendenprojekte hatten einen so wahnsinnigen Erfolg, weil sie uns dort draußen so mögen und uns vertrauen. Das Lichterfest war viel zu voll, weil die Menschen dabei sein wollen. Und warum?
Weil jeder in meinem Team, jeden Tag in diesem Tierheim, in seiner Art und Weise ist, wie er ist. Weil ihr seit Jahren mitzieht und dafür kämpft, dass dieses Tierheim das ist, was es heute ist. Ihr seid wunderbar und einzigartig. Ihr seid richtig, so wie ihr seid. Ich liebe es, euch um mich zu haben und ich habe noch nie jemandem so vertraut, wie euch. Es tut mir sehr leid, dass ihr in diesem Jahr wirklich oft zu kurz kamt und ich manchmal sehr verbissen war. Ich danke euch, dass ihr immer noch da seid. Dass ihr mich aufgefangen habt und das vielleicht gar nicht bewusst. Ihr habt einfach zusammengehalten, für euer Tierheim.
Liebe Leser, wir konnten es dank euch schaffen, wieder einmal über 1350 Tieren zu helfen. Wir konnten das Tierheim umgestalten und in großen Schritten erweitern… dank euch!
Ich bedanke mich für eure Unterstützung, die vielen lieben Worte und dass ihr uns nicht allein lasst. Oldenburg hat schon wirklich ein ganz besonderes Tierheim mit euch.
Ich wünsche euch allen frohe Festtage. Ich wünsche mir für euch alle, dass ihr mit euren Liebsten schöne Weihnachten habt, dass ihr euch Raum und Zeit schenkt. Dass ihr euch zuhört und erzählt. Dass ihr gemeinsam Freude teilt, aber auch schwere Gedanken gemeinsam besiegt. Denn wenn ich etwas gelernt habe in diesem Jahr:
Es geht sowieso nur zusammen.
Liebes Tierheim, es war hart dieses Jahr, es war sehr traurig dieses Jahr, aber ich durfte noch nie so viel lernen und Unterstützung und Lieben erfahren. Danke, alte Lady.
In Liebe und mit tiefer Verneigung vor Christoph und meiner gesamten Mannschaft.
Dominic