Bobs Geschichte

Hallo ihr Menschen,

ich bin Bob Marley und sicherlich dem ein oder anderen schon bekannt. Man sagt mir nämlich nach, dass ich ganz unfassbar entzückend aussehe mit meiner schicken, schwarzen Sturmfrisur! Nicht immer war ich so top frisiert wie heute, meinen Namen Bob Marley zum Beispiel habe ich daher, dass ich am Tag meines Einzugs im Tierheim bis auf den Boden verfilztes Fell hatte – aber von Anfang an.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich eigentlich auf die Straße gekommen und zu einem Streunerhund geworden bin. Ich weiß nur noch, dass ich bloß weg von allen Menschen wollte!  Weg von Händen, weg von Schmerzen, von Trauer und Angst und einfach bloß so weit weg wie möglich! Wie lange ich alleine herumgelaufen bin, kann ich auch nicht mehr sagen. Ich habe das Zeitgefühl verloren, mir war alles ganz egal, ich bin einfach immer gelaufen, gelaufen, gelaufen, weg von allem. Ich war traurig und hatte Angst und war gleichzeitig ganz leer. Ich hatte aufgegeben. Mich selbst. Meine Hoffnung auf ein vielleicht schönes Leben. Und so sah ich nun auch aus: mein Fell war zu bodenlangen Dreadlocks verfilzt, ein altes Halsband mit Leine schon so dolle verwachsen, dass es immer geziept und weh getan hat, doch irgendwann konnte ich es nicht mehr spüren. Es war mir alles  so egal.

Und dann passierte es: da war auf einmal ein Mensch, der mich einfach eingesammelt, ins Auto gesteckt hat und losgefahren ist. Ich war nach ersten Beißversuchen völlig perplex und konnte die ganze Fahrt über keinen klaren Gedanken fassen! Als wir ausstiegen, konnte ich ein Schiff vorbeischwimmen sehen, da fuhren LKWs und Autos, ich konnte Hunde bellen hören, Katzen miauten, Vögel sangen und hörten sich irgendwie ganz zufrieden an. Wir gingen in ein Haus hinein, in dem es nach ganz vielen Tieren roch und da kamen noch mehr Menschen!  Das passte mir gar nicht! Mir fiel wieder ein, dass ich vor Menschen weggelaufen war, weil sie für mich nichts Gutes bedeuteten, und wurde richtig wütend! Die Menschen aus dem Haus kümmerten sich aber gar nicht weiter um mein Gemecker und setzten mich in einen Zwinger, ich konnte sie nur „Tierarzt“ murmeln hören. Darüber dachte ich aber gar nicht weiter nach und motzte einfach vor mich hin. So was! Was fiel denen denn ein, mich in einen Zwinger zu stecken?! Denen würde ich´s zeigen!

Naja, so richtig gut hat das nicht funktioniert, am nächsten Tag nämlich kam eine grauhaarigen Frau zu mir, nahm meine eingewachsene Leine und bugsierte mich einfach ungefragt in ihr Auto. Frechheit! Als wir ausstiegen, konnte ich sofort am Geruch „Tierarzt“ erkennen und wollte ganz schnell wieder weg, aber die grauhaarige Oma ließ nicht locker. Ich habe tüchtig gemeckert, aber keiner hat mir zugehört und dann wurde ich gepiekst und plötzlich war ich auch schon im Traumland! Als ich wieder zu mir kam, fühlte ich mich so leicht. War ich tot? War es soweit? Ich blinzelte und mir wurde klar: Nee, ich lebe noch! So einfach kriegt man mich nicht klein! Aber warum war ich so leicht? Ich stand auf und erkannte, dass meine langen Dreadlocks alle weg waren! Da war ein Luftzug an meiner Haut!  Wahnsinn, den hatte ich lange nicht mehr gespürt! Einen Moment lang blitzte eine Ahnung von Hoffnung in meinem Kopf auf, ein ganz kleines bisschen. Waren vielleicht nicht alle Menschen böse?

Schon kurz darauf kam ein ganz angemalter Mann zu mir und stellte sich als Hundetrainer Mike vor. Er wollte mit mir arbeiten. An einer speziellen Leinenkonstruktion, die die Tierpfleger gebaut hatten (ich vertraute nämlich überhaupt gar niemanden, und wenn eine Hand mir zu nah kam, dann wollte ich ohne Wenn und Aber reinbeißen – Hände sind nämlich böse, müsst ihr wissen!), gingen wir nach draußen in einen eingezäunten Hundeauslauf. Mike kramte in einer Kiste herum und holte einen Stock mit einer Hand dran raus. Dann wollte er mich mit der Hand anfassen! Ich wurde wieder richtig wütend und schnappte in einer Tour in die Hand, motzte und kläffte und regte mich richtig auf, aber Mike ließ gar nicht locker, bis ich ganz schön erschöpft war und mich setzten musste. Dann streichelte er mich mit dieser Stockhand und –ich darf es gar nicht zugeben –es war irgendwie ganz schön … Der kleine Hoffnungsblitz in meinem Kopf fing ein bisschen mehr an zu leuchten …

Neben der Übung „angefasst werden“ brachte Mike mir auch bei, dass Türen nicht mir gehören. Das kann ich bis heute nicht so richtig verstehen … aber ich arbeite dran … Und neuerdings versucht er mich zu überzeugen, dass ich einen Maulkorb tragen soll, damit man mich gefahrlos händeln kann. Finde ich nicht soooo eine tolle Idee … dann kann ich ja gar nicht mehr um mich schnappen, wenn ich wütend werde … ;-) Ehrlich gesagt, haben wir den Versuch derzeit auch wieder abgebrochen…

Fast jeden Tag kommt mich meine grauhaarige Oma Erika besuchen, gibt mir Leckerlies und geht eine Runde übers Gelände mit mir spazieren. Sie kann mich mittlerweile sogar streicheln – aber nur solange ich es will! Zwar vertraue ich ihr ein bisschen (dem ersten Menschen seit langem …), aber man muss ja nun auch nicht übertreiben. Wenn es mir zuviel wird, oder sie nicht genau genug auf meine Körpersprache achtet, dann beisse ich auch bei ihr zu. Auch die anderen Tierpfleger mag ich mittlerweile eigentlich ganz gerne, obwohl sie Menschen sind. Sie geben mir lecker Essen, Medizin für meine kaputte Leber und mein Herz, sie organisieren Blind Dates mit anderen netten Hunden für mich, sie kümmern sich um mich und, ja, auch wenn  ich es eigentlich nicht zugeben will, haben sie die Hoffnung in mir wieder zum Leuchten gebracht. Vielleicht, gaaanz vielleicht, gibt es ja irgendwo noch so ein paar liebe Menschen, die mich aufnehmen, obwohl ich so bin wie ich bin. Oder gerade weil ich so bin, wie ich bin. :-)

Wuff, Euer Bob

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