Von Herzen voller Trümmer

Von Herzen voller Trümmer

Hey Bloh,

keine Ahnung, wie viel ich im Leben noch lernen, verarbeiten, akzeptieren und sortieren muss. Du liegst im Kofferraum. Alles ist so ruhig und friedlich, leider zu ruhig. Wir fahren in Richtung Tierheim. Ein letztes Mal. Ich durfte dir gerade das erste Mal auf den Kopf fassen, leider auch das letzte Mal… Dein Herz schlägt nicht mehr. Meins poltert unruhig hin und her. Ich weiß nicht, wie ich das hier gerade sortieren will. Also schreibe ich, um es zu akzeptieren. Und in dem Schmerz, der hoffentlich immer folgt, diese komische, schöne Berührung zu begreifen. Jene Berührung, die einen packt, umdreht und sagt: Hier gibt es etwas, das es wert ist, aufzuschreiben und mitzuteilen. Das einzige, was in allen Krisen das letzte bisschen Hoffnung schenkt: Liebe und Glaube. Ich durfte heute Liebe sehen und sie macht nicht eifersüchtig, sondern demütig.

 

Am Küchentisch vor ein paar Jahren: Jaymee: Dominic, wollen wir mal mit ein paar Trümmis an den See? Dominic: Wir verstecken uns immer… Lass uns mal in die Stadt gehen… Wir leinten dich, Jason und Bantu an und zogen los durch die Innenstadt. Zwei Pfleger, viele Maulkörbe, drei Hunde… unsere erste Trümmertruppen Tour.

 

Du warst der kleine Punk. Lässt man dich, tust du nichts. Will ich dir an den Kopf, sagst du klar: Lass mich! Denn dein und mein Kopf, die waren sehr sehr sehr dickköpfig. Ich habe mir an dir die Zähne ausgebissen und irgendwann akzeptiert, dass du bist, wie du bist: Freiheitsliebend, autonom, selbstbestimmt, sehr hübsch, also wirklich sehr sehr hübsch und ich mochte dich einfach. Als Fundhund kamst du am 22.02.2020 zu uns aus Bloherfelde. Jetzt rate mal, woher dein Name kam.

 

Du wohntest die meiste Zeit bei uns mit Mila im Dogsplace. Mit den Jahren kamen die Gebrechen und leider auch diese verflixte Epilepsie. Unser Azubi Laurien nahm dich mit nach Hause, wann immer es ging, denn komischerweise warst du bei ihr gnädig, ein wenig verliebt sogar.

 

Du begannst, dich immer stärker zu lecken und bekamst Wunden davon. Verzweifelt suchten wir nach einer Pflegestelle. Und dann begann es. Das, was ich heute sehen durfte, spüren durfte.

 

Jaymee sprach eine Gassigängerin an, ob sie nicht Pflegestelle werden will. Nina willigte ein, Voraussetzung: du verstehst dich mit ihren Katzen. Wir alle dachten: Never… Schade. Du so: Ey Nina, für dich tue ich alles… So sollte es dann wohl sein.

 

Seit Neujahr warst du bei ihr. Noch nie haben wir dich so glücklich gesehen. Doch du hast immer weiter abgebaut. Was Nina mit den Anfällen, Wunden, Untersuchungen, Durchfall und Co. alles ertragen musste, ist nicht in Worten zu beschreiben. Ihr beide habt euch wirklich gefunden. Das haben wir sehr schnell erkannt. Ich habe euch oft in der Stadt gesehen und war verliebt in eure Beziehung. Vielleicht sogar eifersüchtig….

 

Nach einer langen Untersuchungsreihe haben Nina und ich uns am Montag mit dir beim Tierarzt getroffen. Ich konnte meinen Augen kaum trauen, als die Ärztin dich überall untersucht hat. Du brauchst nur Nina und alles wird gut. Aber wir waren nicht einfach nur so da. Obwohl ich noch optimistisch war, spürte ich eine Leere in mir.

 

Gestern Morgen kamen die Ergebnisse. Nach einem kurzen, tränenreichen Telefonat mit Nina haben wir beschlossen, uns im Heim zu treffen. Verloren in der Realität, aber sicher, wussten wir, was wir zu tun hatten.

 

Um 17 Uhr brach die Sonne durch die Wolken, als Nina mir auf dem Parkplatz beim Tierarzt entgegenkam. Ich wusste nicht, ob ich wegen Bloh so traurig war oder weil diese junge, starke Frau so verzweifelt, aber dennoch stark mit dir auf mich zukam.

 

Ich stand nur daneben und konnte nichts beitragen, außer für einen meiner Trümmis in den letzten Minuten da zu sein. Ich sah, wie du kurz skeptisch wurdest, aber dann drückte Nina dich und du schmiegtest dich an sie. Deine Welt war so friedlich bei ihr. Ich kannte dich so nicht. Ich erkannte, dass Nina alles für dich getan hatte und du es zugelassen hattest. In unserem Bestandsbuch steht, dass du auf einer Pflegestelle bist, aber in Wirklichkeit bist du zu Hause bei Nina. Sie ist wirklich eine starke Persönlichkeit. Sie kümmert sich um dich mit Anfällen, unzähligen Tabletten und Spritzen, Durchfall, immer wieder Sorgen, einem Job nebenbei und der Bereitschaft, alles für dich zu tun. Vor allem liebt sie dich. Und du nimmst diese Liebe an. Besser als von mir. Und das ist in Ordnung und schön. Es ist ein kleines Happy End, wenn du in Ninas Armen einschläfst, weil die Narkose wirkt, während ihre Tränen auf dich tropfen. Dein Schmerz ist vorbei, ab jetzt beginnt Ninas.

 

Nina nimmt dir den Maulkorb ab, und ich streichle dir über den Kopf. Wir legen dir den Tierheim-Schal um und in mir ist ein weiterer Trümmer für immer im Herzen. Es fühlt sich an, als würde dieses Herz schon 100 Kilo wiegen, aber es bleibt stark. Denn das, was Pflegestellen wie Nina oder eben mitfühlende, selbstlose Menschen wie Nina für Tierheimhunde tun, ist unbeschreiblich. Man sieht die Hunde nicht aufwachsen, man erlebt nicht die schönen Dinge, die man mit einem Hund erlebt. Man nimmt einen Hund aus dem Tierheim, um ihm ein paar letzte schöne Monate zu schenken. Man wirft sein Privatleben zur Seite, man hat mit einem Schlag nicht mehr nur die eigenen Sorgen, sondern die von dem anderen mit. Dutzende Fahrten zum Tierarzt, unzählige zum Tierheim… ein 24-Stunden-Job, damit du, Bloh, nicht im Tierheim „versauern“ musst. Du dankst es ihr, denn du vertraust ihr. Man nimmt nur die Schattenseiten um darin Liebe zu finden. Ich bin oft und heute sehr beeindruckt.

 

Liebe Nina,

 

ich habe in den letzten 48 Stunden so viel über euch beide nachgedacht und ich kann dir gar nicht oft genug danken. Du als Krankenschwester warst ohnehin die beste fachliche Komponente, aber eure Liebe hat mich sehr beeindruckt. Ich musste leider schon oft dabei sein, wenn Hunde eingeschläfert wurden, aber ich habe noch nie einen Hund so friedlich einschlafen sehen und schon gar nicht Bloh mir so vorstellen können. Danke, dass du für Bloh da warst und ihm die letzten Monate das geschenkt hast.

 

Hey Bloh, mein kleiner Punk, als wir gestern Abend alleine auf dem Parkplatz des Tierheims ankamen und alles so ruhig war, spürte ich diesen tiefen Schmerz und auch die Gewissheit, dass ich nur der Rahmen war. Ihr beide, ihr wart perfekt. Und durch Menschen wie Nina und Hunde wie dich, ist das Herz vielleicht sehr schwer, aber es schlägt. Ich mag Liebe und ich fand es schön, sie zu sehen, da wo es eigentlich nur noch weh tut.

 

Ich wünsche dir jetzt, lieber Bloh, die ewige Freiheit und freue mich, dass dein Schmerz ein Ende gefunden hat. Als Trümmi der ersten Stunden haben wir so viel erlebt und du hängst in meinem Wohnzimmer und immer in meinem Herzen. Mach’s gut, kleiner Punk.

 

Dein Dominic

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